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Interview mit Tim Nowak: Der Abschied aus der U23 hat mich befreit

Tim Nowak (SSV Ulm 1846) ist seit dem Wochenende der 71. deutsche Leichtathlet, der im Zehnkampf mehr als 8.000 Punkte sammeln konnte. Im Interview ordnet der 22-Jährige diesen Meilenstein ein, zeichnet seinen Weg von jugendlicher Leichtigkeit über Zweifel und Druck bis hin zu neuem Selbstvertrauen nach und bewertet seine Chancen auf eine EM-Teilnahme in Berlin.

 

Tim Nowak, am vergangenen Sonntag haben Sie erstmals die erste große Schallmauer im Zehnkampf durchbrochen. Wie waren die ersten Tage als 8.000-Punkte-Athlet?

Tim Nowak:

Sehr entspannt. Wir sind ja superspät aus Halle zurückgekommen, ich war erst um zwei Uhr nachts zu Hause und habe erstmal viel geschlafen und viel gegessen. Und dann habe ich mich darüber gefreut, das lange Wochenende bei meinen Eltern zu verbringen, meine Freunde zu treffen und einfach noch mal etwas Anderes zu machen, bevor das Training wieder losgeht.

 

Schon mit 19 haben Sie in Ihrem ersten Männer-Zehnkampf 7.827 Punkte gesammelt, dann häufig am 8.000er gerüttelt, die Marke aber nie überboten. War das jetzt so etwas wie ein Befreiungsschlag?

Tim Nowak:

Ja, genau das war es! Ich bin der Marke so lange hinterhergelaufen, fast vier Jahre lang. Sie war immer greifbar, und immer ist etwas dazwischengekommen. Da habe ich den Druck schon krass gespürt und zwischendurch auch mit mehreren Psychologen zusammengearbeitet, weil ich gemerkt habe, dass mich die Jagd nach den 8.000 Punkten runterzieht. Von daher ist die Erleichterung jetzt enorm, und auch die Freude über die Bestleistung. Ich freue mich, dass ich meine Form mal annähernd auf den Platz gebracht habe und einen Wettkampf zeigen konnte, der zu meinen Ansprüchen und meinen Trainingsleistungen passt. Wenn ich die Ergebnisliste ansehe, muss ich immer noch grinsen und bin direkt happy.

 

Sie zählen zu den Talenten, die nach großen Erfolgen in der Jugend erst einmal mit kleineren Schritten oder Stillstand fertig werden müssen. Wie waren die letzten drei Jahre in der U23 für Sie?

Tim Nowak:

In der Jugend war ich es gewohnt, dass meine Bestleistung in jedem Jahr um mehrere hundert Punkte steigt. Es war für mich normal, dass ich zum Saison-Höhenpunkt meine beste Leistung zeige. Meine Bestmarke lag bei 7.980 Punkten – da war eigentlich klar, wie der nächste Schritt aussehen muss. Aber es folgte die perfekte Negativ-Serie. Bei der U23-EM 2015 in Tallinn war ich fit und lag auf Medaillenkurs, dann kam der Salto nullo im Diskuswurf. Bei der EM in Amsterdam der Sturz über die Hürden. Bei der U23-EM 2017 die Verletzung vor dem Weitsprung. An diesen Wettkämpfen habe ich mich runtergezogen. Ich bin meiner Topleistung und dieser Punktzahl hinterhergelaufen und habe dabei irgendwie meinen Killer-Instinkt und meine Lockerheit verloren. Ich glaube, der Abschied aus der U23 hat mich ein Stück weit befreit. Diese Klasse ist abgehakt, das habe ich schon im vergangenen Jahr in Talence gemerkt. Da habe ich zum Saisonende schon einen guten Wettkampf gemacht, da fehlten in ein paar Disziplinen einfach noch ein paar Punkte [Ergebnis: 7.942 Pkt].

 

In Halle/Saale spitzte sich zuletzt alles auf die 1.500 Meter zu und auf die Bestleistung, die Sie für die 8.000 Punkte benötigten. Ihre Trainingspartner Arthur Abele und Mathias Brugger haben Sie auf Ihrem Weg unterstützt. Nehmen Sie uns doch noch einmal mit zurück zu diesem Rennen – wie haben Sie es erlebt?

Tim Nowak:

Es war ein Rennen, das ich fast in Trance gelaufen bin. Ich war extrem zielgerichtet, ich wollte auf keinen Fall den nächsten 7.980-Punkte-Wettkampf machen. Ich habe mich gut gefühlt und wusste, dass ich die Zeit läuferisch drin habe. Wir haben vorher besprochen, dass Matze und Arthur für mich Tempo und Windschutz machen, das hat fast perfekt funktioniert. Bis zur letzten Kurve war es für mich nur kopfloses Hinterherlaufen, dann ist Matze ausgeschert und ich habe noch mal Vollgas gegeben, in dem Schlussspurt war wirklich alles drin.

 

Sie waren einer von insgesamt sieben Ulmer Zehnkämpfern im Feld. Welche Rolle spielt Ihre Trainingsgruppe für Sie?

Tim Nowak:

Ich glaube, sie ist für uns alle extrem wichtig. Mittlerweile sind wir es gewöhnt, in einer größeren Gruppe zu trainieren und uns gegenseitig zu unterstützen, gerade in den schweren Einheiten im Winter. Auch technisch versuchen wir, uns Tipps zu geben, wenn Christopher [Trainer Christopher Hallmann] gerade nicht schauen kann. Wenn Arthur mit seiner Bestzeit von 13,55 Sekunden Hürden-Anregungen gibt, hat das noch mal ein ganz besonderes Gewicht. Allerdings muss ich sagen, dass es die große Gruppe für mich in Halle sogar schwerer gemacht hat, mich auf den Wettkampf zu konzentrieren. Vor allem, weil andere von vornherein nicht alle Disziplinen absolvieren wollten, ebenso wie Rico [Rico Freimuth] und Kai [Kai Kazmirek]. Es herrschte eine lockere Stimmung und ich durfte nicht vergessen, dass es für mich um etwas geht.

 

Schwierig war vermutlich auch der Einstieg in den zweiten Tag – denn eigentlich sah es nach nur 1,92 Metern im Hochsprung schon nicht mehr nach einer neuen Bestmarke aus. Wie konnten Sie sich für die weiteren Disziplinen motivieren?

Tim Nowak:

Der erste Tag verlief nicht optimal, der Hochsprung mit 17 Zentimetern unter Bestleistung hat total reingehauen, das weiß ich natürlich. Aber ich habe am ganzen Wochenende nicht einmal den Rechner in die Hand genommen. Vielleicht war das gut. Ich hatte mir vorher schon oft gesagt: Tim, du darfst nicht rechnen. Dieses Mal brauchte ich es mir nicht einzureden, dieses Mal war es einfach so. Klar habe ich mich nach dem ersten Tag geärgert, aber dieses Mal habe ich mich davon nicht runterziehen lassen, ich war einfach entspannter. Und ich habe mich körperlich extrem gut gefühlt, daher wusste ich, dass ich am zweiten Tag vor allem mit dem Diskus und dem Speer noch gut dabei bin.

 

Welche Reaktionen haben Sie anschließend auf Ihren Wettkampf erhalten?

Tim Nowak:

Es kamen kaum Standard-Nachrichten nach dem Motto „Herzlichen Glückwunsch“, sondern sehr viele emotionale Reaktionen. „Tim, endlich hat es geklappt!“ – „Super, ich freue mich, du hast es dir so verdient!“ Die Anteilnahme war wirklich sehr emotional, darüber habe ich mich extrem gefreut.

 

Sie haben nun als erster deutscher Zehnkämpfer die EM-Norm für Berlin überboten. Wie bewerten Sie die Ausgangslage vor den weiteren Qualifikationswettkämpfen?

Tim Nowak:

Einerseits bin ich in einer tollen Situation: erster Zehnkampf des Jahres, erster Normerfüller. Andererseits werden 8.037 Punkte mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dafür reichen, sich für Berlin zu qualifizieren. Ausruhen werde ich mich darauf also natürlich nicht. Im Gegenteil. Ich hoffe, dass es jetzt ähnlich wie bei Matze [Mathias Brugger steigerte sich 2017 auf 8.294 Pkt] Klick gemacht hat. Dass ich lockerer und mit mehr Selbstvertrauen in die Wettkämpfe gehen kann, besonders nach meinem sehr guten zweiten Tag.

 

Die finale Entscheidung über die drei deutschen EM-Tickets fällt beim Mehrkampf-Meeting in Ratingen am 16./17. Juni, wo Sie wieder am Start sein werden. Was können wir dort erwarten?

Tim Nowak:

Ich hoffe, dass ich mich dort noch einmal steigern kann und dass ich damit eine realistische Chance habe, mich für Berlin zu qualifizieren! Über 100 Meter, 400 Meter und im Weitsprung hat in Halle noch einiges zu meinen normalen Leistungen vom letzten Jahr gefehlt. Und ich glaube, dass ich auch meine Stärken noch nicht ganz ausgespielt habe. Klar ist es schön, 45 Meter Diskus zu werfen. Aber ich weiß, dass ich auch 48 werfen kann. 62 Meter mit dem Speer sind ein tolles Ergebnis, aber im Training werfe ich weiter. Entscheidend werden allerdings die Sprungdisziplinen, und dass ich mich da noch mal steigern kann. Ich hoffe, dass ich überall noch ein bisschen drauflegen kann, um dann in Ratingen wirklich konkurrenzfähig zu sein.